Meist gelesener Blogbeitrag 2020: „Mental stark in herausfordernden Zeiten“
Wie jedes Jahr publiziere ich den meist gelesenen Blogbeitrag am Ende des Jahres nochmals. Dieses Jahr – nicht überraschend und mit grossem Abstand – einer meiner Corona-Texte (Datum: 31. März): Vermutlich geht es sehr vielen von Ihnen genauso wie mir: Sie sind zuhause, nur zuhause. Auf engem Raum, viele wie ich mit Kindern, die zwar Homeschooling haben, aber doch Unterstützung brauchen, obwohl wir Eltern eigentlich arbeiten müssen. Dazu kommen Unsicherheiten, welche Auswirkungen das Corona-Virus auf unsere Gesundheit, unsere finanzielle Situation und die Wirtschaft und Gesellschaft als Ganzes haben. Was hilft uns, mit dieser herausfordernden Lage umzugehen?
Seit ein paar Wochen ist auch mein Leben nicht mehr das, was es einmal war. Wir sind zu viert alle zuhause (meine 8- und 10-jährigen Mädchen, mein Mann und ich – plus natürlich die zwei Katzen). Zwischendurch herrscht dicke Luft, da wir uns gar nicht ausweichen können. Meine Workshops sind bis Mitte Jahr abgesagt, Coachings mache ich nur online, neue Kunden sind weit und breit nicht zu erkennen. Dies nachdem ich bis vor kurzem so viel zu tun hatte, dass ich Aufträge ablehnen musste. Unser Anlagevermögen ist auch nicht mehr das, was es mal war. Dazu kommt die Sorge, dass wir uns oder unsere Lieben sich anstecken könnten. Meine 79-jährige Mutter und meine 89-jährige Schwiegermutter sehen wir nur online.
Eine Situation, die einem Angst macht. Ganz viele verschiedene Unsicherheiten kumulieren sich, mit entsprechenden Auswirkungen. Denn die vielfältigen Ängste sind ein „fruchtbarer“ Nährboden für Auseinandersetzungen. In China, das uns ja einige Wochen voraus ist in der Corona-Entwicklung, ist die Anzahl häuslicher Konflikte und auch Scheidungen in die Höhe geschnellt. Patrick Fassbind, Leiter der Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde Basel-Stadt, hat die Situation in der NZZ gut auf den Punkt gebracht, wenn er sagt, dass sich das Konfliktpotenzial zurzeit gewissermassen verdoppelt: Die Belastungen nehmen für viele Leute zu, und die Auswirkungen verlagern sich praktisch vollumfänglich ins eigene Heim.
Tipps für mentale Stärke
In Krisensituationen verhalten sich Menschen ganz unterschiedlich. Gewisse negieren die Situation („ist ja alles nicht so schlimm“), andere resignieren, wiederum andere geraten in Panik, werden aggressiv oder nehmen mehr Suchtmittel zu sich – verlieren also auf irgendeine Art die Kontrolle. Das alles sind aber keine Bewältigungsstrategien, die uns helfen, die aktuelle Situation bestmöglich zu überstehen. Was gibt es nun für Möglichkeiten, konstruktiv damit umzugehen? Entscheidend ist eine mentale Stärke – konkret: die richtige Einstellung zur aktuellen Lage zu finden.:
- In allererster Linie geht es darum, dass Sie sich bewusst werden, dass es Ihre Entscheidung ist, wie Sie mit der Situation umgehen: kämpfen Sie gegen Windmühlen, oder akzeptieren Sie die Situation und versuchen, das Beste daraus zu machen? Das Motto einer meiner Coaching-Kundinnen ist zurecht: „It is what it is.“ Das bedeutet auch, sich nicht über die Situation zu beklagen oder sich in die Opferhaltung zu begeben. Mental stark zu sein, heisst, seine Emotionen selber positiv beeinflussen zu können und zu erkennen, was Sie ändern können und worauf Sie keinen Einfluss haben.
- Schreiben Sie Ihre Ängste auf. Sie verlieren dadurch an Bedrohung. Und notieren Sie, auf was Sie sich freuen, wenn die Zeit der Quarantäne vorbei ist. Versuchen Sie dann, diese tollen Sachen zu visualisieren – sich also mit allen Sinnen vorzustellen, wie es ist, wenn Sie sie unternehmen und machen können. Das Gehirn macht keinen Unterschied, ob Sie etwas tun oder es sich nur lebhaft vorstellen. Bei vielen Menschen fliesst schon der Speichel, wenn sie an etwas Leckeres zu essen denken.
- Machen Sie Sachen, die Sie schon immer tun wollten, aber nie Zeit dafür fanden, z.B. ein Buch lesen, mehr Spaziergänge unternehmen, mit den Kindern Gesellschaftsspiele machen usw. Sehen Sie also auch das Positive an dieser schwierigen Situation. Mehrere Leute in meinem beruflichen und privaten Umfeld haben mir gesagt, dass sie die aktuelle Entschleunigung als sehr angenehm empfinden. Ich persönlich schätze es, dass wir mehr Zeit zu viert verbringen können – plus natürlich mit den Katzen, die eine grosse Freude haben, dass wir so viel zu Hause sind… Überlegen Sie sich auch, was Sie mitnehmen aus dieser herausfordernden Lage – also was Sie danach anders machen wollen, z.B. immer wieder zu entschleunigen.
- Überlegen Sie sich, welche anderen schwierigen Situationen Sie in der Vergangenheit schon gemeistert haben und welche Fähigkeiten oder Vorgehensweisen Ihnen damals geholfen haben. Das sind Ressourcen, die Sie auch heute wieder anzapfen können.
- Ein wertvoller Tipp der sehr erfahrenen Krisenmanagerin und heutigen Coach und Referentin Nicole Brandes: suchen Sie Handlungsspielräume, wie Sie Ihr finanzielles Down-Side reduzieren können. Vielleicht gibt es ja in der aktuellen Situation neue geschäftliche Möglichkeiten. Ich bin zurzeit mit einem meiner grössten Kunden am Diskutieren, ob ich für Mitarbeitende, die aufgrund der aktuellen Lage gestresst sind, Kurz-Online-Coachings anbieten kann.
- Nicole Brandes hat mir auch aufgezeigt, wie man in Krisensituationen Gutes tun und andere dazu befähigen kann, besser mit der Lage umzugehen. So hat sie letzte Woche ein Gratis-Webinar zum Thema gegeben, über das ich gerade schreibe, und mich zu diesem Blog inspiriert. Und wir gehen für unseren bald 87-jährigen Nachbarn und andere kranke Nachbarn einkaufen. So toll, wie viele Bekundungen von Solidarität es in der Schweiz gibt! Wir können uns alle gegenseitig helfen.
- Der Mensch ist ein soziales Wesen, dem Zugehörigkeit sehr wichtig ist und der Kontakt braucht, um mit Belastungen umgehen zu können, ohne krank zu werden. Im Moment sind wir von fast allen physischen Kontakten abgeschnitten. Das soll uns aber nicht daran hindern, beruflichen und privaten Austausch zu pflegen – einfach online. Oder vielleicht freut sich einer Ihrer Lieben auch über eine heute so rar gewordene Karte von Ihnen.
- Ein toller Tipp kommt auch von der Trainerin und Coach Antje Heimsoeth: halten Sie das Team-Gefühl aufrecht. Einer meiner Unternehmenskunden hat Online-Kaffeepausen der einzelnen Teams eingeführt. Und der Versicherer Allianz Suisse macht nun täglich Radiosendungen für seine Mitarbeitenden, damit sie wissen, was in allen Bereichen läuft – was das Gemeinschaftsgefühl stärkt.
- Schaffen Sie Struktur und Routine, denn sie geben Ihnen Sicherheit, da Sie dann das Gefühl haben, Ihr Leben im Kleinen unter Kontrolle zu haben. Stehen Sie am Morgen zur gleichen Zeit wie sonst auf, frühstücken, ziehen sich an (ja nicht im Pyjama bleiben!), arbeiten zu denselben Zeiten, nehmen drei Mahlzeiten im Tag ein und gehen ganz normal ins Bett. Planen Sie, bis wann Sie welche Aufgaben erledigen und wann Sie frei haben. Selbstdisziplin ist hier sehr wichtig. Und planen Sie jeden Tag ein Highlight, auf das Sie sich freuen können.
- Schreiben Sie am Abend auf, was Sie heute gut gemacht haben und für was Sie auch in diesen schwierigen Zeiten dankbar sind. Shiften Sie also Ihren Fokus vom Negativen zum Positiven.
- Dasselbe gilt für das Grübeln. Verlieren Sie sich nicht unendlich in negativen Gedanken oder in schlimmen Zukunftsszenarien. Hier gibt es einige mentale Tricks: beschränken Sie die Grübelzeit auf z.B. eine Viertelstunde (stellen Sie den Wecker). Danach wenden Sie sich bewusst wieder positiven Gedanken zu und den Dingen, die Sie verändern können. Halten Sie sich, wenn das negative Kopfkino wiedermal läuft, ein Stopp-Schild vor Ihr inneres Auge. Oder stellen Sie sich vor, wenn Ihre Gedanken Wolken wären, die einfach an Ihnen vorbeischweben.
- Zuhause ist eine Mischung zwischen Toleranz und klaren Regeln angesagt. Versuchen Sie zu verstehen, wenn andere gereizt reagieren. Reden Sie über Ihre Ängste und diejenigen der anderen. Gleichzeitig ist es sehr wichtig, sich in der Hausgemeinschaft gut zu organisieren und klare Regeln für ein möglichst reibungsfreies Zusammenleben zu definieren. Mein Mann und ich haben z.B. abgemacht, dass wer von uns ein Telefonat oder anderen Online-Austausch hat sich in ein abschliessbares Zimmer zurückzieht, um die anderen Familienmitglieder beim Arbeiten nicht zu stören.
- Checken Sie nicht jede Viertelstunde die News, sondern nur wenige Male pro Tag. Konsultieren Sie seriöse Medien und lassen Sie sich nicht von Verschwörungstheorien und Fake-Meldungen verunsichern.
- Nehmen Sie jeden Tag etwas Zeit für sich und machen Sie etwas Schönes nur mit sich alleine, sei es tolles Buch lesen, ein warmes Bad nehmen, eine Entspannungsübung oder etwas Anderes, das Ihnen gut tut.
- Humor tut uns in solch schwierigen Zeiten gut. Ich habe in letzter Zeit viele lustige Videos und Fotos zum Thema Corona erhalten und bin immer wieder beeindruckt von der Kreativität der Menschen auch in der Krise. Ein Beispiel, das ich liebe:
- Bewegen Sie sich jeden Tag, idealerweise an der frischen Luft. Ich mache seit ein paar Tagen jeden Nachmittag einen Spaziergang mit meinem Mann (und manchmal mit unseren Mädchen). Bewegung baut das Stresshormon Cortisol ab und wirkt sich positiv auf Ihr Immunsystem und auch auf Ihre Psyche aus. Im Internet finden Sie viele Videos, wie Sie zu Hause Ihren Körper fit halten können. Einen positiven Einfluss auf Ihre mentale Verfassung hat auch, auf eine aufrechte Körperhaltung zu achten.
- Stärken Sie auch sonst Ihr Immunsystem, z.B. durch eine ausgewogene Ernährung, die Zufuhr von Vitaminen und Mineralstoffen (vor allem Vitamin C und Zink), genügend Schlaf, feuchte Schleimhäute usw. Ein gutes Immunsystem hilft, Infektionen besser zu überstehen. „Das scheint auch für das Corona-Virus zu gelten“, sagte Prof. Sarah Tschudin Sutter, leitende Ärztin an der Klinik für Infektiologie und Spitalhygiene des Universitätsspitals Basel, der Coop-Zeitung.
- Beteiligen Sie Ihre Kinder am Haushalt. Da wir zurzeit niemanden Fremden ins Haus lassen (also auch nicht unsere Putzfrau), haben unsere Mädchen schon zweimal ihre Zimmer gestaubsaugt und ihr Badezimmer geputzt.
- Wenn Sie trotz all dieser Tipps mit der aktuellen Situation nicht zurechtkommen, holen Sie sich Hilfe, sei es bei Freunden oder professionelle Unterstützung.
Thomas W. Albrecht, österreichischer Coach und Referent, fasst es treffend zusammen: „Meist ist nicht das Problem das eigentliche Problem, sondern der Umgang mit dem Problem.“ Ich hoffe, Sie haben nun genügend Tools, um die Sache in die eigenen Hände zu nehmen. Es gibt ganz viele Dinge, die Sie machen können, um diese herausfordernde Situation bestmöglich zu bewältigen. Mentale Stärke ist zum Glück lernbar.