Durch Zuhören erfährt man mehr als durch Reden
Schon der Dalai Lama sagte: „Wenn du redest, wiederholst du nur, was du schon weisst. Aber wenn du zuhörst, lernst du vielleicht etwas Neues.“ Wer immer sendet – und das betrifft viele –, bekommt also das Wesentliche in einem Gespräch gar nicht mit. Wenn Sie gut zuhören, fühlt sich Ihr Gegenüber zudem gehört und wertgeschätzt und ist deshalb offener für Ihre Argumente. Entscheidend ist, dass Sie aktiv zuhören, also mit Ihrer Aufmerksamkeit voll beim Gegenüber sind.
Seit 2001 wird im Gallup Engagement Index anhand von zwölf Fragen zum Arbeitsplatz und -umfeld die Arbeitsplatzqualität in Deutschland überprüft. 2019 – wie bereits in den Jahren zuvor – war eine Erkenntnis erschreckend: nur 15% der Mitarbeitenden fühlen sich emotional an ihren Arbeitgeber gebunden. Hauptgrund gemäss dem Gallup-Experten Marco Nink ist, dass die Mitarbeitenden sich von ihrem Vorgesetzten nicht wertgeschätzt fühlen, dass sie zu wenig Feedback erhalten und dass nicht auf ihre Ideen eingegangen wird. Von zu Beginn engagierten Mitarbeitenden werden sie zu „Verweigerern“, wie es Nink nennt.
Eine Umfrage von The Alternative Board (TAB), einem Zusammenschluss von 600 mittelständischen deutschen Unternehmern, hat gezeigt: 91% Prozent der befragten Führungskräfte denken, dass sie bei grundlegenden Entscheidungen ihre Mitarbeitenden anhören und deren Einschätzungen und Wünsche berücksichtigen sollten. In der Realität nehmen sich die Vorgesetzten jedoch kaum Zeit dafür. Jeder zweite Befragte wendet höchsten eine gute Stunde pro Woche für ein Mitarbeiter-Gespräch auf, jeder vierte nicht einmal 30 Minuten.
Erschwerend kommt dazu, dass Chefs bei diesen Gesprächen zu viel selber reden (je höher in der Hierarchie, desto mehr), anstatt ihre Mitarbeitenden zu Wort kommen zu lassen – mit einem negativen Effekt auf den wirtschaftlichen Erfolg. 54% der TAB-Unternehmer gaben zu, bereits Fehlentscheidungen getroffen und Verluste erlitten zu haben, weil sie ihren Mitarbeitenden nicht zugehört hatten. Die drei Hauptgründe für mangelndes Zuhören sind gemäss www.people-foerst.de: keine Zeit, keine innere Kapazität (man ist mit anderem beschäftigt) und kein Interesse.
Bewusstes aktives Zuhören
Menschen brauchen jedoch Aufmerksamkeit und Wertschätzung, um sich wohl zu fühlen und eine gute Arbeit zu leisten. In einer Umfrage des deutschen Marktforschungsinstituts Allensbach haben sehr hohe 80% der Befragten angegeben, dass zu einem guten Gespräch das Zuhören gehört. Deshalb ist ein gutes Zuhören nicht ein „nice to have“, sondern die Grundlage für eine erfolgreiche Führung. Zuhören ist dann „gut“, wenn es aktiv gemacht wird. Dazu gehören folgende Dinge:
- sich voll auf den Gesprächspartner einstellen
- aufmerksam und fokussiert bleiben
- das Gegenüber beobachten (Inhalt und Körpersprache, z.B. nervöses Wippen, durchs Haar streichen) und dabei alle Sinne auf Empfang haben
- Fragen stellen (mehr dazu unten)
- Blickkontakt halten
- zwischendurch einmal zustimmend nicken, aber ja nicht übertreiben – sonst wirkt es künstlich
„No goes“ sind:
- aufs Smartphone oder immer wieder links und rechts schauen
- den Blickkontakt vermeiden, wenn es kritisch wird
- unterbrechen (verbal oder mimisch)
- Sätze vervollständigen
- gut gemeinte, aber belehrende Ratschläge und Interpretationen – also sich selbst profilieren wollen
Dazu ein treffender Spruch eines Unbekannten: „Das grösste Kommunikationsproblem ist, dass wir nicht zuhören, um zu verstehen – wir hören zu, um zu antworten.“
Vorteile eines aktiven Zuhörens
Was sind denn zusammengefasst die Vorteile eines guten, also aktiven Zuhörens:
- der Mitarbeitende fühlt sich gehört und verstanden und ist dadurch motivierter und loyaler, was seine Produktivität erhöht
- Sie erfahren viel mehr. Denn 85% dessen, was wir wissen, lernen wir durch Zuhören. So können Sie bessere Entscheidungen treffen
- Im Austausch mit Kunden und Lieferanten: Harvard-Professor William Ury konnte nachweisen, dass Menschen, die aktiv zuhören, bessere Verhandlungsergebnisse erzielen konnten
„Gute Zuhörer sind auch gute Fragensteller“, sagt www.karrierebibel.de zutreffend. Denn so können Sie sich erkundigen, wenn Sie etwas nicht verstanden haben. Ausserdem erfahren Sie – wie erwähnt – mehr, und Ihr Gegenüber fühlt sich gehört. Zusätzlich gibt Ihnen eine Nachfrage Zeit, selber Ihre Gedanken zu ordnen oder – wenn Sie sich aufgeregt haben über die Aussage Ihres Gesprächspartners – sich zu beruhigen, bevor Sie selber Stellung nehmen. Ein weiterer Vorteil ist: Missverständnisse werden vermieden. Sie können z.B. fragen:
- „Sie finden also, dass…?“
- „Wenn ich Sie richtig verstehe, sagen Sie…“
- „Könnten Sie mir mehr dazu sagen?“
- „Was sind Ihre Gründe, die Sie zu dieser Aussage bewegen?“
Was in diesem Zusammenhang auch empfehlenswert ist, ist, die Aussage Ihres Gesprächspartners zu paraphrasieren. Z.B.: „Sie haben gesagt, dass…“. Wenn Ihr Gegenüber etwas Anderes gemeint hat, kann er widersprechen, so dass es zu keinen Missverständnissen kommt. Oder Sie können das Gesagte umdeuten: „Ich verstehe Ihre Bemerkung so, dass…“ Auch hier kann Ihr Gesprächspartner Ihnen sagen, ob Sie das Gleiche verstanden haben, wie er gemeint hat. Denn wenn man A sagt, kommt manchmal B oder C beim anderen an.
Eine Einschränkung meinerseits zum Abschluss: aktives Zuhören ist keine Technik, die man einfach lernen und anwenden kann. Basis, dass Zuhören wirklich funktioniert, ist Ihre Haltung und Ihre Empathie. Denn Ihr Gegenüber merkt sofort, ob Sie echtes Interesse haben an ihm oder nicht.
© Claudia Kraaz