Unterschätzte Wertschätzung in der Führung
„Unsere Mitarbeitenden sind der Schlüssel zum Erfolg, sie sind unser höchstes Gut“ – solche Sprüche liest man häufig auf Unternehmens-Websites oder in Leitbildern. Doch leider sieht die Realität ganz anders aus: Mitarbeitende fühlen sich viel schlechter behandelt, als ihre Vorgesetzten denken, wie sie sie behandeln würden. Folge: Frustration, Demotivation, innere Kündigung. Ein Faktor macht den grossen Unterschied: zeigen Sie Ihren Mitarbeitenden Wertschätzung und Anerkennung.
Viele Führungskräfte sind der Ansicht: „keine Kritik ist Lob genug“ – meines Erachtens der grösste Fehler, den man als Vorgesetzter machen kann. Denn, wie www.beoachter.ch sagt: „wir alle möchten beachtet werden und mit dem, was wir tun, Wirkung erzielen“ – und auch dafür gewürdigt werden. Und stillschweigende Wertschätzung gibt es nicht. Jeder Mensch will wissen, woran er bei seinem Gegenüber ist. Und wenn man keine Rückmeldungen erhält (oder höchstens einmal im Jahr beim Jahresendgespräch…), beginnt man, ins Verhalten seines Vorgesetzten etwas reinzuinterpretieren – meistens in negativer Hinsicht, da unser Gehirn so gepolt ist.
Wieso erkennen denn sehr viele Führungskräfte den Wert von Wertschätzung und Anerkennung nicht? Weil sie sich selbst zu wenig wertschätzen, sagen die Experten. Logischerweise können sie dann auch andere Menschen nicht grundsätzlich wohlwollend behandeln. Ausserdem schätzen sehr viele Vorgesetzte ihre Führungsleistung sehr viel besser ein, als diese bei ihren Mitarbeitenden ankommt, wie u.a. verschiedene Gallup-Untersuchungen gezeigt haben – mit hohen Kosten: Gallup schätzt die volkswirtschaftlichen Kosten in Deutschland aufgrund von innerer Kündigung im Jahr 2018 auf eine Summe zwischen 77 und 103 Milliarden Euro.
Ein menschliches Grundbedürfnis
Wertschätzung zu erhalten ist ein menschliches Grundbedürfnis und dies mit einem sehr grossen Hebeleffekt. Die Schweizer Coach und Achtsamkeitstrainerin Madleine Winkler-Duclos fasst es sehr gut zusammen: „Wer wertgeschätzt wird, hat ein besseres Selbstvertrauen, ist zufriedener und erbringt eine bessere Arbeitsleistung.“ Wenn man Wertschätzung erhält, werden verschiedene Hormone freigesetzt, die das Wohlbefinden erhöhen (Endorphine), Beziehungen stärken (Oxytocin), die Konzentration verbessern (Dopamin) und die Leistungskraft stärken (Adrenalin), wie die sehr gute Website www.karrierebibel.de erläutert. Wer glücklich und zufrieden ist, übernimmt schliesslich mehr Verantwortung und kriegt mehr auf den Boden.
Wenn in einer Firma oder Abteilung ein wertschätzendes Klima herrscht und man dadurch vertrauensvoll miteinander umgeht, ist es zudem einfacher, Kritik anzubringen, wenn für einmal etwas nicht ideal gelaufen ist. Und wer erfahren hat, dass er grundsätzlich als für gut empfunden wird, kann auch einmal einen Rückschlag besser wegstecken. Zudem stärkt Wertschätzung die Unternehmensbindung und verringert Fehlzeiten. Die Abwesenheit von Wertschätzung hingegen führt zu Frustration, Konflikten, Demotivation, innerer Kündigung, ja sogar Krankheit. Denn Gallup hat nachgewiesen, dass Menschen, die wenig Wertschätzung erhalten, ein doppelt so hohes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen aufweisen.
Dos und don‘ts
Es gibt auch Vorgesetzte, die sich redlich bemühen, die in Führungskursen gelernte Wertschätzung der Wertschätzung anzuwenden, aber dabei Fehler machen, die sich dann kontraproduktiv auswirken. Was man dabei vermeiden sollte:
- Nicht mit Lob übertreiben – so unter dem Motto: jedem Mitarbeitenden jeden Tag etwas Positives sagen. Das wirkt nicht authentisch.
- Nicht gönnerhaft wirken. Begegnen Sie dem Mitarbeitenden auf Augenhöhe.
- Nicht nach einem Lob ein „aber“ nachschieben oder es mit einer Bitte oder einem Wunsch verknüpfen.
- Viele Vorgesetzte machen einen Denkfehler und gehen davon aus, dass Wertschätzung viel kostet. Dabei braucht es nur Kleinigkeiten (siehe unten).
- Sagen Sie nicht: „ich habe immer offene Türen für euch“ und sind dann kaum da…
Bevor wir zu den Tipps kommen, noch zwei grundsätzliche Bemerkung: 1) viele Bewertungssysteme von Unternehmen sind auf die Honorierung von Leistung ausgerichtet. Selbstverständlich braucht es das, aber es reicht nicht, um die Mitarbeitenden zu motivieren. Wertschätzung geht über das Zeigen von Anerkennung für etwas Geleistetes hinaus. Echte Wertschätzung ist auf die Person als Ganzes ausgerichtet, ob sie jetzt gerade etwas Gutes geleistet hat oder nicht. 2) Wertschätzung zeigen kann man mit Worten, mit Taten und über die Beziehungsebene. Nun zu den Tipps:
- Ein Lob resp. ein positives Feedback aussprechen – die einfachste Art, konkrete Anerkennung zu zeigen. Man kann das unterschiedlich machen: persönlich im Gespräch, in einem Mail oder im Plenum, wo es eine noch stärkere Wirkung hat.
- Ein anerkennender Blick, ein wohlwollendes Kopfnicken, ein Lächeln, ein Händedruck – mit der Körpersprache bewirkt man viel.
- Werden Sie ruhig auch einmal emotional und zeigen Sie Begeisterung, Rührung usw. Gefühle wirken stärker als sachliche Argumente.
- Erfolge würdigen und zelebrieren, z.B. mit einer „wall of success“, wo Erfolge mit Kurzberichten, Fotos, Urkunden usw. sichtbar gemacht werden (Idee der deutschen Management-Trainerin Antje Heimsoeth).
- Auch eine Idee von ihr: jeden Montag einem Mitarbeitenden ein Mail oder eine Karte (noch persönlicher) schreiben, in der man etwas Positives über die Person sagt.
- Aktiv und interessiert zuhören und vielleicht auch eine Rückfrage stellen – also richtig präsent sein im Gespräch und dem Gegenüber Zeit schenken – sehr wertvoll, da Zeit für alle ein rares Gut ist.
- In Meetings als Vorgesetzter pünktlich sein. Dadurch zeigt man: eure Zeit ist genauso wichtig wie meine.
- Einen Einsatz würdigen, auch wenn das Resultat nicht das erhoffte war. Beispiel: ein Mitarbeitender hat in einem Projekt extrem viel. Ausdauer und Engagement gezeigt, aber aus Gründen, die er nicht beeinflussen konnte, das Projekt nicht zu einem guten Ende führen können. In diesem Fall sollte der Vorgesetzte die Persönlichkeitsmerkmale (Ausdauer, Engagement, Identifikation) positiv herausstreichen.
- Vertrauen schenken und Verantwortung geben, z.B. indem man jemandem ein herausforderndes Projekt überträgt oder ihn eine wichtige Präsentation halten lässt.
- Einen Mitarbeitenden um Rat fragen, also damit ausdrücken, dass man seine Meinung schätzt oder dass diese Person vielleicht sogar mehr wissen könnte als man selber.
- Ihn in Entscheide einbeziehen.
- Den Mitarbeitenden berufliche und persönliche Entwicklungsmöglichkeiten bieten.
- Den Menschen als Ganzes sehen, z.B. nach der kranken Frau fragen, zum Geburtstag gratulieren usw.
- Kleine Aufmerksamkeiten wie eine Einladung oder ein Geschenk.
- Wertschätzung auf die einzelne Person zuschneiden. Überlegen Sie sich, auf was die Person am besten ansprechen würde. Jeder Mensch ist anders.
Das Tolle an Wertschätzung zeigen ist: es ist ansteckend, wird oft zurückgegeben und hat sogar einen Rückkoppelungseffekt. Denn erwiesenermassen stärkt Wertschätzung nicht nur den Selbstwert des Empfängers, sondern auch den des Senders. Sie profitieren also selber davon! Wertschätzung ist unbezahlbar – und eigentlich so einfach.
© Claudia Kraaz