Prüfungsangst ade
Sie haben sich gut vorbereitet und sind bereit für Ihre Prüfung. Aber einige Tage vorher kommen Sie in Stress: Sie schlafen nicht gut, es ist Ihnen übel, und Sie haben Schweissausbrüche. Und an der Prüfung selber: Blackout, gähnende Leere im Kopf. Alles für die Katz! Doch das muss nicht sein. Wir können mentale Stärke lernen und uns Tipps und Tricks aneignen, um souverän an eine Prüfung gehen zu können.
Eine gewisse Aufregung vor einer Prüfung ist positiv. Denn die dabei ausgeschütteten Hormone (vor allem Adrenalin) machen Ihren Herzschlag schneller und beschleunigen Ihren Atem. Dadurch gelangt mehr Sauerstoff ins Blut und ins Gehirn. Es steht Ihnen so ganz viel Energie zur Verfügung. Sie sind voll präsent und leistungsfähig. Was ist also das Problem? Ihre Angst kann überhand nehmen, ja, Sie dominieren. Die Folgen können u.a. sein: Schlafprobleme, Schweissausbrüche, Übelkeit, Durchfall, zittrige Hände und anderes mehr – und eben diese schwarze Wand während der Prüfung: völliger Filmriss und Leere im Kopf, nachdem man sich doch so gut vorbereitet hatte! Oft genügt schon der Gedanke an die bevorstehende Prüfung, um die Symptome auszulösen.
Prüfungsangst ist jedoch – im Gegensatz zu dem, was viele meinen – keine Angst davor, durch eine Prüfung zu fallen. Sie ist eine „soziale Bewertungsangst“, wie die Experten dies nennen. Eine Angst vor dem Gesichtsverlust, vor dem Spott der anderen, also eine vorweggenommene Scham. Alle Menschen brauchen Wertschätzung und Anerkennung – einige aber besonders viel davon, vor allem wenn sie den Eindruck haben, dass sie nur Anerkennung erhalten, wenn Sie Leistung zeigen. Sie haben dann überzeichnete Erwartungen an sich selbst – vielleicht noch verstärkt durch Druck durch das Umfeld und schlechte Erfahrungen (z.B. eine Blossstellung durch einen Lehrer als Kind). Gefährdet sind also vor allem Perfektionisten, Kontroll-Freaks oder Menschen, die ein schlechtes Selbstwertgefühl haben. Aus meiner Coaching-Erfahrung kann ich sagen: es gibt sehr viele davon.
Im Kopf läuft ein Horrorfilm
Diesen Menschen gehen dann vor einer Prüfung ganze Schreckens-Szenarien durch den Kopf. Es entsteht ein richtiger Horrorfilm, der immer wieder vor ihrem geistigen Auge abläuft. Sie fühlen sich diesen Szenarien ausgeliefert und haben das Gefühl, nichts machen zu können. Doch das stimmt nicht. Denn woran wir denken, hat eine grosse Macht über unsere geistige Verfassung und unseren Körper – in beide Richtungen. Schon Henry Ford, der amerikanische Autobauer, sagte: „Ob du denkst, du kannst es oder du kannst es nicht, du wirst auf jeden Fall Recht behalten.“ Und die deutsche Mental-Coach und Trainerin Antje Heimsoeth bemerkt zurecht. „Wenn wir ständig darüber nachdenken, was wir falsch gemacht haben oder falsch machen könnten, steigert dies nicht gerade unsere Leistungsfähigkeit.“
Negative Gedanken führen also dazu, dass wir uns auch effektiv schlecht fühlen. Die Prüfungsangst löst also einen Teufelskreis aus: je grösser die Angst vor dem Versagen, desto wahrscheinlicher ist ein Misserfolg – was natürlich die Befürchtungen zu bestätigen scheint und die Angst noch mehr steigert. Aber es geht zum Glück auch umgekehrt: wir können uns selber ein gutes Gefühl erzeugen – vor allem durch mentale Techniken und durch Entspannungsübungen während und vor der Prüfung. Wichtig ist aber auch die richtige Lernstrategie. Meine Tipps decken deshalb alle diese Kategorien ab. Ich habe sie aufgeteilt in: Tipps für die Lernphase, Tipps vor der Prüfung und Tipps während der Prüfung.
Tipps für die Lernphase
- Beginnen Sie rechtzeitig mit Lernen und mit einem guten Lernplan, der auch Erholungsphasen enthält. Denn eine Prüfungsvorbereitung ist ein Marathon, kein Sprint.
- Machen Sie jeweils nach max. 90 Minuten eine paar Minuten Pause und nach max. vier Stunden eine Stunde Pause. Während diesen Pausen machen Sie etwas völlig Anderes.
- Schlafen Sie während der Lernphase genug, um sich zu erholen und leistungsfähig zu bleiben.
- Der Lernplan sollte gemäss Studien so aufgebaut sein, dass Sie Lerneinheiten idealerweise nach 10 Stunden nochmals wiederholen.
- Planen Sie Ihre Lernphasen entsprechend Ihrem Chrono-Rhythmus (morgens fitte Lerchen oder abends leistungsfähige Eulen).
- Trainieren Sie die Prüfungssituation, indem Sie Probeprüfungen machen.
- Reden Sie mit anderen über Ihre Prüfungsangst. Sie werden merken, dass Sie nicht der/die einzige sind.
- Eignen Sie sich Techniken für mentale Stärke an. So können Sie sich z.B. immer wieder vor Augen führen, was Sie schon alles erreicht haben und was Sie gut konnten bisher. Und: was hat Ihnen in anderen schwierigen Situationen geholfen? Werden Sie sich also Ihrer funktionierenden Bewältigungsstrategien bewusst. Sagen Sie energisch „stopp“ zu Ihren negativen Gedanken und ersetzen Sie sie durch hilfreiche Gedanken, z.B. „Ich kann es schaffen“. Diese positiven Sätze (auch Mantras genannt) wiederholen Sie mehrmals täglich. Zusammengefasst: shiften Sie Ihren Fokus vom Negativen zum Positiven. Es braucht einfach etwas Übung.
- Visualisieren Sie, indem Sie sich in allen farbigen Details vorstellen, wie Sie Ihren Prüfungserfolg feiern (möglichst mit allen Sinnen). Mit dieser Methode arbeiten auch viele Spitzensportler.
- Erlernen Sie eine Entspannungstechnik, die Sie auch kurz vor der Prüfung einsetzen können, z.B. Atemübungen. Denn mit dem Atem können Sie Ihr vegetatives Nervensystem und dadurch Ihren Puls und Ihren Blutdruck beeinflussen. Versuchen Sie es z.B. damit: vier langsame Einatemzüge durch die Nase (wichtig: in den Bauch atmen), den Atem anhalten, währenddessen Sie langsam auf acht zählen, und dann acht langsame Ausatmungszüge durch den Mund. Das beruhigt. Eine andere Möglichkeit ist die progressive Muskelrelaxation: ballen Sie z.B. Ihre Hände zu Fäusten und lassen dann wieder los.
Tipps vor der Prüfung:
- Schreiben Sie während einigen Tagen vor der Prüfung einmal täglich Ihre Ängste auf, empfiehlt die Zürcher Lerncoach Katrin Piazza. Wie stark sind sie an den einzelnen Tagen? 10 Minuten vor der Prüfung schreiben Sie nochmals all Ihre Ängste und Ihre Schreckensszenarien nieder. Damit speichern Sie sie wie auf einer externen Festplatte. Unser Gehirn wird durch das Niederschreiben entlastet.
- Lernen Sie am Tag vor der Prüfung nichts Neues (erst recht nicht am Abend davor), rät Katrin Piazza. Denn das zuletzt Gelernte blockiert den Zugriff auf Dinge, die im Langzeitgedächtnis stecken. Sie empfiehlt deshalb, die letzten 24 Stunden vor der Prüfung „einfach“ nur zu entspannen. Z.B. indem Sie Gesellschaftsspiele machen, leichten Sport treiben, spazieren gehen usw.
- Drinken Sie vor der Prüfung keinen Kaffee oder Energy Drinks. Diese machen Sie nur noch nervöser.
- Diskutieren Sie kurz vor der Prüfung nicht mit Kollegen über den Stoff. Ziehen Sie sich lieber zurück und hören Ihr Lieblingslied. Machen Sie Ihre Entspannungsübung. Oder eben: schreiben Sie Ihre Ängste auf.
- Gehen Sie vor der Prüfung auf die Toilette. Dort lächeln Sie eine Minute vor sich hin (löst Glückshormone aus) oder üben das Power Posing. Mehr dazu in meinem Blog: LINK.
Tipps während der Prüfung:
- Eine analoge Uhr auf das Pult stellen. Sie tickt langsamer als die Uhr in Ihrem Kopf…
- Lesen Sie zuerst alle Aufgaben durch und beginnen dann mit der einfachsten. Die schwierigen machen Sie erst gegen Schluss.
- Wenn Sie ein Blackout haben, wenden Sie das Prüfungsblatt und schreiben darauf die Einkaufsliste für das Wochenende, das ABC rückwärts oder eine Liste Ihrer Lieblingsfilme. Die Idee dahinter: deblockieren Sie Ihr Gehirn!
- Was auch hilft bei einer Blockade: Ihre eingeübte Entspannungsübung – sie darf in dieser Situation einfach nicht das erste Mal angewandt werden.
Viel Erfolg!
© Claudia Kraaz