TREND ZUM DIGITALEN ENTGIFTEN
In den letzten Jahren haben sich unser Kommunikationsverhalten und unsere Mediennutzung grundlegend geändert. Das Handy ist unser ständiger Begleiter geworden, faktisch zu unserem „significant other“ (früher auf den/die Partner/in bezogen). Wieso sind wir denn regelrecht süchtig nach allem Digitalem? Und was kann man tun gegen diese Abhängigkeit?
Junge Leute verbringen gemäss Untersuchungen bis zu sechs Stunden täglich mit ihrem Smartphone. Und was ich vor ein paar Tagen gelesen habe, ist fast noch extremer: ¾ der 18-24 Jährigen schauen alle 4,3 Minuten aufs Smartphone. Und wir ein bisschen Älteren legen auch kaum das Handy weg. Wenn ich am Dienstagabend in mein Zumba-Tanzen gehe, staune ich immer wieder darüber, wie viele Leute ihr Smartphone in die Stunde mitnehmen. Wieso eigentlich? Oder wie die jungen Pärchen sich in einem Restaurant gegenüber sitzen, ohne miteinander zu reden, da sich jeder seinem Handy widmet.
Süchtig nach unseren Smartphones
Fakt ist: wir sind heute regelrecht süchtig nach unseren Smartphones. Sogar ein eigenes Wort für das zwanghafte Überprüfen des Bildschirms wurde kreiert: „phubbing“. Es gibt auch nachvollziehbare Gründe, wieso wir so gerne nachschauen, wer uns gerade geschrieben hat, wer unser LinkedIn-Profil angeschaut oder einen Post geliked hat:
- Wenn ein neuer Stimulus kommt, wird Adrenalin freigesetzt. Das gibt uns einen «Kick». Das ist kurzfristig positiv, aber zu viel davon verursacht Stress.
- Ein Like für einen Post oder das Ansammeln von Followers ist wie ein «virtuelles Schulterklopfen». Und wir alle dürsten nach Anerkennung.
- Aber es gibt auch die gegenteilige Motivation: wenn wir nicht dauernd schauen, was so läuft in den unzähligen Netzwerken, haben wir das Gefühl, wir verpassen etwas. Über die Hälfte aller Smartphone-Besitzer sagt gemäss einer Studie selber, dass diese Angst ein wichtiger Treiber für sie sei.
Mit einfachen Massnahmen beginnen
Was kann man tun gegen diese Abhängigkeit? Meiner Erfahrung nach ist das Wichtigste: mit einfachen Dingen anzufangen, so z.B.:
- Alle tönenden Alerts ausschalten, im Smartphone und im Computer.
- Überlegen Sie, ob jedes Mail wirklich notwendig ist und an wie viele Leute es gehen muss – wie früher bei einem physischen Brief, bei dem Sie eine Marke auf ein Couvert kleben mussten.
- An Sitzungen nicht auf das Smartphone schauen. Abgesehen davon, dass es unhöflich ist, kann sich das Gehirn auch nur auf eine Sache aufs Mal fokussieren. Sie kriegen also bei gleichzeitigem Handykonsum und dem Versuch, der Sitzung zu folgen, beides nicht richtig mit.
- Beim Dinner mit der Familie oder beim Bier mit Freunden das Handy auf lautlos stellen oder ganz abstellen und sich der persönlichen Kommunikation widmen.
- Alle technischen Geräte ausser einem altmodischen Wecker und einer Nachttischlampe aus dem Schlafzimmer verbannen.
- Bis nach dem Frühstück warten, bevor man seine Nachrichten anschaut.
- Weniger Leute und Webseiten folgen.
- In den Ferien – wenn überhaupt notwendig – Laptop- und Smartphone-Gebrauch auf 1h täglich beschränken, z.B. je eine halbe Stunde am Morgen und am Abend.
Nach einer gewissen Zeit können Sie steigern:
- Abends ab z.B. 21h keine Mails mehr anschauen. Man schläft besser, wenn man nicht mit einem digital overload ins Bett sinkt.
- Ein mailfreier Tag am Wochenende. Es gibt Apps, die einem helfen, sich hier zu disziplinieren, z.B. die App Digital Detox, mit der man sein Smartphone für eine bestimmte Zeit unwiderruflich sperren kann.
- Mit der Zeit auch mal eine mailfreie Woche pro Jahr einführen. Auch hier helfen einem sinnigerweise Apps.
Als Führungskraft ist es zudem sehr wichtig, den Mitarbeitenden klar zu machen, dass keine Mailantworten abends, am Wochenende und in den Ferien erwartet werden. Das bedeutet für die Vorgesetzten auch, dass sie ihre Vorbildfunktion wahrnehmen und selber möglichst wenig ausserhalb der Arbeitszeiten Mails verschicken sollten, damit der Druck auf ihre Mitarbeitenden nicht steigt.
Digital Detox
Zu jedem Trend entsteht mit der Zeit ein Gegentrend. In den USA kam vor einiger Zeit die Idee von „Digital Detox Camps“ auf, in denen Süchtige lernen, wie es sich anfühlt, wieder mal im Offline-Modus zu sein: dass man dadurch besser entspannen, auftanken und dadurch wieder kreativ sein kann. Sogar Apple schickt ihre Leute in digitale Diätkurse, um ihre Innovativskraft anzukurbeln. Seit neustem gibt es solche Angebote auch in Deutschland und Österreich.
Es tut sicher jedem gut, sich zwischendurch in digitaler Entwöhnung zu üben. Aber für den sinnvollen Umgang mit allem Digitalem im Alltag ist meines Erachtens entscheidend, sich immer wieder bewusst zu machen, wie das eigene Nutzungsverhalten ist und dann bewusste Entscheide zu fällen, wie viel Bedeutung man der digitalen Kommunikation versus der persönlichen Kommunikation beimessen möchte. Auch hier können einem Apps helfen, z.B. die App Offtime light oder die App Rescue Time, die messen, wie viel Zeit wir mit allem Digitalen verbringen. Die meisten Menschen unterschätzen dies nämlich. Testen Sie sich! Ich bin gespannt auf Ihre Feedbacks.
© Claudia Kraaz